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13. Mai 2013 1 13 /05 /Mai /2013 09:58

Warum sollte jemand ein totes Pferd reiten?

Weil er glaubt, keine Alternativen zu haben?

Weil es ihm so vertraut und sicher erscheint?

Weil andere Leute doch auch tote Pferde reiten?

 

Das klingt absurd. Natürlich. Aber viele Menschen verhalten sich genau so: Sie sind schon lange unzufrieden mit ihrem Job. Sie klagen und grübeln. Sie wissen, dass es von allein nicht besser werden wird. Trotzdem schaffen sie es nicht, aktiv zu werden. Laut einer Studie des Gallup Instituts fühlen zwei Drittel der Deutschen keine emotionale Bindung zu ihrer Arbeit. Sie machen Dienst nach Vorschrift und warten auf Wochenende und Urlaub.

 

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Nur elf Prozent sind hochmotiviert 

Nur elf Prozent sind hoch motiviert. Unzufriedenheit ist eher die Regel als eine Ausnahme – das Reiten auf toten Pferden ist ein Volkssport. Der Nachteil: Sie sind suboptimale Fortbewegungsmittel. Und in ungeliebten Jobs werden wir womöglich irgendwann krank. Warum halten wir dennoch so lange an ihnen fest?

Die einfachste und sehr menschliche Antwort lautet: Weil wir Angst haben. Egal, ob die mögliche Alternative eine neue Aufgabe im Unternehmen, ein anderer Arbeitgeber, eine ganz andere Tätigkeit oder womöglich eine selbstständige Existenz sein könnte: Neuanfänge bergen immer Risiken. Es könnte schief gehen. 

Vielleicht sehen andere unsere Kompetenzen viel negativer als wir selbst. Das wäre peinlich. Oder der neue Job und das neue Umfeld erweisen sich als nicht so interessant, wie wir glauben. Wir könnten scheitern und schon bald arbeitslos oder mit Hartz IV dastehen. Auch wenn dies nicht gerade wahrscheinlich ist – Ängste sind nun einmal nicht rational. Unser bisheriger Job ist uns vertraut. Berufliches Neuland ist erst einmal riskant. Und löst Angstalarm im Gehirn aus. Deshalb gehören kalte Füße nun einmal zu Neuanfängen. Wir können aber konstruktiv damit umgehen, wenn wir unsere Bedenken und Ängste ernst nehmen. Und wir können Wege suchen, um Risiken zu minimieren.

Die Angst wird kleiner, wenn wir uns sachlich mit ihr auseinandersetzen. Nur ist Angst einfach unsexy! Man gesteht sich und anderen nur sehr ungern ein, sie im Nacken zu spüren. Gerade in der Arbeitswelt sind schließlich coole Typen gefragt, denen Zweifel oder gar kalte Füße fremd sind. Was also tun zwischen den Stühlen – zwischen dem Bedürfnis nach Veränderung und der Angst vor Scheitern und Unsicherheit? Ganz einfach: Wir verdrehen die Realität ein wenig und konzentrieren uns auf Argumente, die wir leichter vertreten können. Mit so einem psychischen Ablenkungsmanöver gelingt es uns zu verharren, wo wir sind, und gleichzeitig uns und der Welt zu erklären, dass es für uns keine Alternative gäbe.

 

Die Ursache des Selbstbetrugs

Psychologen nennen diesen Mechanismus Rationalisierung: Ich stelle also etwas Irrationales so dar, dass es mir als die vernünftigste Sache der Welt erscheint. Und schon ist ein totes Pferd die beste aller möglichen Lösungen! Welche guten Gründe könnte man vorgeben, um an einem unbefriedigenden Job festzuhalten?

Viele argumentieren mit ihrer vermeintlich unzureichenden Kompetenz: Sie glauben fest daran, dass sie nur können, was in ihrer derzeitigen Stellenbeschreibung steht. Jeder neue Job würde natürlich andere Anforderungen stellen, und das birgt Risiken. Da ist es einfacher zu sagen "Ich kann doch nichts anderes." Um mich neu zu orientieren, brauche ich ein realistisches Bild meiner Fähigkeiten – möglicherweise muss ich mich fortbilden. Und das ist unbequem. Manche Menschen beharren darauf, dass sie ja gar nicht wissen, was sie wollen. Und solange man das nicht weiß, muss und kann man auch nichts tun. Vielleicht ab und zu in Stellenbörsen schauen. Viel grübeln. Aber das reicht selten aus.

Viel sinnvoller wäre es, das eigene Herz zu ergründen und den Möglichkeiten der Arbeitswelt wirklich auf den Zahn zu fühlen. Aber das erfordert Zeit und eine Menge Engagement! Da ist es leichter zu sagen, dass man nichts wisse.

Letztlich liegt es ja allein an mir, wie ich mich, meine Ziele und meine Kompetenzen verkaufen kann. Nur ist die Vorstellung, für sich selbst die Werbetrommel zu rühren, vielen höchst unangenehm. Da nimmt man sich lieber selbst aus dem Spiel, indem man sich für zu jung, zu unkreativ, zu unerfahren, zu unflexibel, zu was auch immer erklärt.

Reiter von toten Pferden verweisen gern auf die vielen anderen, denen es genauso geht: Andere hassen ihren Job doch ebenso sehr wie sie. Deshalb muss das wohl okay sein – das (Berufs-)Leben ist ja auch kein Ponyhof. Wie naiv muss man sein, sich in der Arbeit verwirklichen zu wollen! Und Menschen, die ihren Job lieben, haben ganz einfach Glück gehabt oder sind viel kompetenter und intelligenter – also Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Die vermeintlich guten Gründe, an seiner ungeliebten Stelle zu kleben, haben eines gemeinsam: Sie basieren auf gefühlten Wahrheiten, also auf Glaubenssätzen, die bei näherer Betrachtung undifferenziert und schlichtweg falsch sind. Sie mögen oft einen wahren Kern haben – aber sie fallen zusammen wie ein Kartenhaus, wenn wir ihnen auf den Zahn fühlen. Und das ist schon mal ein guter erster Schritt auf dem Weg zu einem beruflichen Neuanfang.

 

Fazit: Wir können ein totes Pferd reiten, wenn wir das wollen. Aber wir müssen nicht.

 

[Tom Diesbrock - Die Welt online]

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  • : Olli's Blog
  • : Anfang 2010 hatte ich ja schon einmal einen Blog, allerdings hat der Provider die Segel gestrichen... Jetzt habe ich nach langem hin und her mich entschlossen, doch wieder unter die Blogger zu gehen. Viel Spaß beim Stöbern..!
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